SVK 13/2007, Hinweis auf SPK 33/1999 und VK SPK D 24/2001
30. November -0001
Im beiliegenden Dokument werden folgende Fragen aufgegriffen:
—> Definition der Arbeitszeit
—> Anrechnung des Arbeitswegs an die Arbeitszeit
—> Fixierung des Anstellungsortes im Zusammenhang mit Reisezeit und Auslagenersatz
—> Differenzierung von Sammelstelle und Anstellungsort
—> Berücksichtigung der Reisezeit im LMV (Art. 54 LMV, nicht allgemeinverbindlich erklärt).
BESCHLUSS der SVK vom 5. Juni 2013 betreffend Reisezeit als Arbeitszeit:
„Reisezeit ist als solche eigenständig zu rapportieren. Sie ist zum Grundlohn zu entschädigen, soweit diese 30 Minuten im Tag übersteigt. Reisezeit zählt jedoch nicht zur Jahresarbeitszeit gemäss Art. 24 LMV. Die Bestimmungen des Arbeitsgesetzes und seiner Verordnungen sind zu beachten.“
Arbeitszeit, Arbeitsort, Anstellungsort, Auslegung der Begriffe
Es gilt Art. 23 LMV. Die Vertragsparteien des LMV haben bei der Formulierung von Absatz 1 und 2 lit. a dieser Bestimmung die Definition der Arbeitszeit in Art. 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 Arbeitsgesetz Verordnung 1 übernommen. Als Arbeitszeit im Sinne des Gesetzes und des LMV gilt die Zeit, während der ein Arbeitnehmer unter der auf Art. 321d OR gestützten Weisungsgewalt des Arbeitgebers steht, sich also im engern Wortsinn ‚zur Verfügung des Arbeitgebers hält‘ und zwar unabhängig vom jeweiligen Aufenthaltsort. D.h. jede Zeitspanne, die der Arbeitnehmer mit Willen des Arbeitgebers in dessen hauptsächlichem Interesse verbringt, ist Arbeitszeit, denn er hält sich und seine Zeit während dieser Periode zu dessen wirtschaftlicher Verfügung. Es spielt somit keine Rolle, ob sich der Arbeitnehmer im Betrieb, in der Eisenbahn oder anderswo zur Verfügung zu halten hat. Der Weg zu und von der Arbeit stellt grundsätzlich nicht Arbeitszeit dar. (Dazu Adrian von Kaenel, Stämpflis Handkommentar, ArG Art. 9, N 5ff; seco, Wegleitung ArGV 1 Art. 13 Abs. 1.)
Mit anderen Worten ‚der normale Arbeitsweg ist keine Arbeitszeit‘. Bei Arbeitnehmern, die auch ausserhalb ihres normalen Arbeitsortes oder an regelmässig wechselnden Arbeitsorten zum Einsatz gelangen, stellt sich die Frage nach der Definition des Arbeitsweges. Arbeitsort ist normalerweise der Stammbetrieb, der Anstellungsort oder im Baugewerbe etwa der Werkhof. Zu regeln ist der Fall, in dem für den Arbeitsweg mehr Zeit aufgewendet werden muss als für den Weg zum eigentlichen Arbeitsort. Da sich der Arbeitnehmer ja im Auftrag des Arbeitgebers zu einem anderen Arbeitsort begibt, geht der zusätzliche Zeitaufwand zu Lasten des Arbeitgebers.
(Dazu Adrian von Kaenel, Stämpflis Handkommentar, ArG Art. 9, N 14; seco, Wegleitung ArGV 1 Art. 13 Abs. 2.)
Beim Arbeitsgesetz und den entsprechenden Verordnungen handelt es sich um öffentliches Arbeitsrecht. Das Arbeitsgesetz beinhaltet Regelungen, welche dem Arbeitgeber Pflichten und Auflagen zum Schutze der Arbeitnehmenden vorschreiben. Von diesen zwingenden Mindestvorschriften darf nur zugunsten der Arbeitnehmenden abgewichen werden. Die Qualifikation als Arbeitszeit im Sinne von Art. 13 ArGV 1 hat vorerst nur öffentlichrechtliche Bedeutung. Ob dafür Lohn geschuldet ist, entscheiden die privatrechtlichen Verhältnisse, so insbesondere der Arbeitsvertrag, ein GAV und die Art. 319f und 322ff. OR.
(Dazu seco, Wegleitung ArGV 1 und 2, Vorbemerkungen; seco, Wegleitung ArGV 1 Art. 13 Abs. 1; Adrian von Kaenel, Stämpflis Handkommentar, ArG Art. 9, N 7)
Wie oben dargelegt, stimmt der Wortlaut von Art. 23 LMV mit Art. 13 Abs. 1 ArGV 1 überein. Die Schweizerische Paritätische Berufskommission des Bauhauptgewerbes SPK sowie die Schweizerische Paritätische Vollzugskommission VK SPK (heute: Schweizerische Paritätische Vollzugskommission Bauhauptgewerbe SVK) haben wiederholt zur Auslegung der Begriffe ‚Arbeitszeit‘, ‚Arbeitsort‘ und ‚Anstellungsort‘ wie folgt Stellung genommen:
Die SPK hat im Fall 33/1999 zur Auslegung von Art. 60 und 23 LMV folgendes festgehalten:
Aufgrund des zitierten Artikels ist unschwer zu erkennen, dass Ihre Frage mit der Definition des Arbeitsortes zusammenhängt. Dieser Begriff wird im LMV unklar verwendet und in der Gesetzgebung fehlt eine Umschreibung; damit muss auf die Praxis abgestellt werden. Im Normalfall fällt der „Arbeitsort“ mit dem „Anstellungsort“ zusammen, das heisst, der Arbeitnehmer arbeitet dort, wo er angestellt ist. Im Bau trifft dies aber für das Baustellenpersonal im Gegensatz zu den Zimmerleuten selten zu. Bauarbeiter arbeiten in aller Regel an irgendeinem auswärtigen Ort. Dies bedingt, dass ein geographischer Ort des „Einrückens“ festgelegt werden muss. … Gestützt auf diese Überlegungen ist vorerst einmal festzuhalten, dass in Art. 23 LMV der „Anstellungsort“ gemeint ist. Es ist derjenige geographisch im Einzelarbeitsvertrag fixierte Ort (häufig der Werkhof oder der Firmensitz), wo der Arbeitnehmer sich regelmässig zur Verfügung des Arbeitgebers zu halten hat.
Die VK SPK hat in Ergänzung dieser Auslegung im VK SPK D 24/2001 festgehalten:
Demnach ist es nicht gestattet, bei dauernd wechselnden Baustellen (Arbeitsorten) jeweils von einem Wechsel des Anstellungsortes auszugehen, um den Auslagenersatz und die Reisezeit zu umgehen.
Im gleichen Fall VK SPK D 24/2001 hat die VK SPK sich auch zu Art. 54 LMV geäussert:
In diesem Zusammenhang ist auch auf den Begriff der ‚Reisezeit‘ einzugehen. Art. 54 LMV umschreibt diesen Begriff nur unvollständig und führt zusätzlich den im Baubereich üblichen Ausdruck ‚Sammelstelle‘ ein. Soweit bei der ‚Sammelstelle‘ der Anstellungsort gemeint ist, ergeben sich rechtlich keine Schwierigkeiten. Wird jedoch die ‚Sammelstelle‘ regelmässig verlegt, gilt auch hier, das oben gesagte. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass die Sonderregelung von Art. 54 LMV nicht allgemeinverbindlich erklärt ist, weshalb diese nur für SBV-Mitgliederfirmen zur Anwendung kommt. Diese Lösung hält fest, dass 30 Minuten Reisezeit täglich nicht an die Arbeitszeit angerechnet wird; die darüber hinausgehende Reisezeit gilt als Arbeitszeit.
Unter Berücksichtigung der obigen Auslegung zu Art. 23 und 54 LMV kommt als Wille der Vertragsparteien des Landesmantelvertrages klar zum Ausdruck, dass keine abweichende Auslegung zu den Arbeitsbestimmungen des Arbeitsgesetzes toleriert wird. Vielmehr wird gerade für die Verbandsfirmen in Anlehnung an Art. 13 Abs. 2 ArGV 1 die ’normale Wegzeit‘ festgelegt. Mit anderen Worten: Reisezeit, die mehr als ½ Stunde pro Tag dauert, ist als Arbeitszeit zu qualifizieren und entsprechend zu entlöhnen. Um eine Gleichbehandlung zwischen Verbandsfirmen und Aussenseitern sicherzustellen, wird Art. 54 LMV, obwohl nicht allgemeinverbindlich erklärt, in der Baubranche und in der Praxis jeweils auch bei Nicht-Verbandsfirmen berücksichtigt. Eine Schlechterstellung der Arbeitnehmer durch eine vertragliche Vereinbarung verstösst gegen Art. 23. Dies ergibt sich auch aus Art. 321c OR in Verbindung mit Art. 321 OR (dazu Ullin Streiff/Adrian von Kaenel, Arbeitsvertrag, Praxiskommentar, 6. Auflage, N9 zu Art 321 OR).